Eine Episode der Befreiung des Gâtinais
von Gilbert Baumgartner |
Die Befreiung von Montargis erfolgte am 23. August 1944 mit dem Einzug der amerikanischen Truppen (eine Division der 3. Armee des Generals Patton). Der Rückzug einiger deutscher Truppen hatte bereits zwei Tage früher begonnen, aber das deutsche Oberkommando in Montargis fühlte sich verpflichtet, die Stadt so lange wie möglich zu verteidigen. Montargis wurde als strategischer Punkt in der geplanten Gegenoffensive geschätzt, als Knotenpunkt der Nordsüd- (Nationalstraße 7) und Ostwest-Richtungen (Nationalstraße 60), sowie als Verbindung zwischen Seine und Loire über die Kanäle. In Hitlers "Weisung für die weitere Kampfführung" vom 20. August 1944 wird als "wichtigste Aufgabe" bezeichnet, "einen Brückenkopf westl. Paris zu behaupten und südl. Paris ein Durchstoßen des Feindes Richtung Dijon zu verhindern. Die 1. Armee hat beiderseits Montargis den Rückmarsch der Kräfte aus dem Süden zu decken. " Diese Pläne sind aber längst von dem raschen Vormarsch der amerikanischen Truppen überholt : am 18. August sind die Amerikaner schon in Château-Landon, am 20. in Nemours.
Kommandant in Montargis war Generalmajor Edgar Arndt, Befehlshaber der Einheit 1 / Sicherungsregiment 1010. Mit seinem Stab beschloss er am Abend des 22. August, die Feldkommandantur in Montargis zu verlassen (Adresse: 9 rue de la Chaussée, gegenüber der heutigen Stadtbibliothek). Mit 4 Pkws und 2 Panzerwagen versuchte Arndt, den Weg nach Osten einzuschlagen. Die Informationen, die ihm zukamen, bestätigten, dass die Straße nach Sens (N. 60) bereits bei Courtenay gesperrt war. Ihm schien, dass die Strecke über Châteaurenard (D. 943)noch frei war, auch wenn Städte aus Sicherheitsgründen zu meiden waren. Erstaunlicherweise hielt sich Arndt mit seinem Stab die ganze Nacht in Amilly auf, 4 km von Montargis entfernt, in einem Bauernhof namens "Les Blards". Da sammelte er weiter Informationen über den Vormarsch der Amerikaner. Am Morgen des 23. August beschloss er, die Straße nach Châteaurenard einzuschlagen. Die Straße führt an dem Fluss "Ouanne" entlang, Châteaurenard befindet sich etwa 17 km von Amilly entfernt, auf dem nördlichen Ufer. Ziel war, 7 km nach Amilly im Dorf Saint-Germain-des-Prés den Fluss zu überqueren und über das gegenüberliegende Dorf Gy-Ies-Nonains die Straße am südlichen Ufer zu nehmen, um die Stadt zu umgehen. Gleichzeitig zogen die Amerikaner in Montargis ein. Dort ahnte niemand, dass sich der verhöhnte Besetzer noch in "Fangweite" befand !
Wenn man die Ereignisse so linear schildert, läuft man Gefahr, die Schwierigkeiten eines solchen Rückzugs zu übersehen, in dem Zufall und ausgewogene Entscheidungen gleichermaßen wichtig sind. Besonders unvoraussehbar waren die Aktionen der französischen Widerstandsgruppen, die seit der Annäherung der Befreiungstruppen noch aktiver geworden waren - mit dem Ziel, durch Beunruhigung und Entmutigung der deutschen Soldaten die Befreiung der Städte zu beschleunigen.
Eine dieser militärisch organisierten Partisanengruppen hatte ihren Zufluchtsort in einem abgelegenen Bauernhaus in Gy-Ies-Nonains. Diese Gruppe hatte sich 1943 zusammengeschlossen unter der Leitung eines ehemaligen Oberfeldwebels, Jean Dunand. Seit Juni 44 hatte sie an mehreren Widerstandsaktionen teilgenommen (Waffensuche, Flugblätterverteilung, Entgleisungen, Angriffe auf deutsche Truppen, usw.) Jean Dunand hat die Geschichte seines "Maquis" ausführlich niedergeschrieben und dokumentiert. Über die Gesinnung der 9 ihm unterstellten Männer (zwischen 19 und 46 Jahre alt) am 23. August schreibt er folgendes :
"Alle sind der Meinung, man solle diesen Tag, vielleicht den letzten unserer Kampagne, mit Glanz beenden und versuchen, den Deutschen einen strengen Denkzettel zu verpassen. "
Die Gruppe begab sich ins Dorf und bezog Stellung bei der Brücke über die Ouanne, zwischen Gy-Ies-Nonains und Saint-Germain-des-Prés. Jean Dunand erzählt weiter :
"Um 12 Uhr 30 kommt von einem Späher die Nachricht, dass 6 Wagen, darunter 4 Pkws und 2 Panzerwagen, sich der Brücke nähern. Sobald die Fuhrwerke in Schussweite der Gruppe sind, wird der Schießbefehl erteilt. Die ersten Wagen schießen zurück, halten aber nicht an und rasen durch das Dorf. Der letzte Wagen stößt gegen das Brückengeländer. Die Männer der ersten Schießlinie greifen sofort an, unter dem Schutz der zweiten Linie. Auf der Brücke sind 6 tote oder verletzte Deutschen. Einer will sich nicht ergeben und greift zur Waffe, er wird niedergeschossen. Währenddessen kommt ein deutscher Wagen, mit einem doppelten Maschinengewehr bewaffnet, zurück und beginnt zu schießen. Der Feuerstoß eines unserer leichten Maschinengewehre zwingt den Wagen zur Machtlosigkeit. Da wir eine verstärkte Rückkehr des Feindes voraussehen, wird der Rückzugbefehl erteilt. Bilanz des Angriffes : 2 bewaffnete Autos zerstört, 3 MGs gewonnen, 4 Deutsche getötet, 3 Deutsche schwerverletzt, 2 Gefangene. Kein Verlust auf unserer Seite. Die Deutschen haben im Laufe des Nachmittags die anderen Toten und Verletzten mitgenommen. Nach Angaben von 2 Einwohnern, die als Geisel mitgenommen und am gleichen Abend befreit wurden, wurden beim Angriff ein General und ein Leutnant verletzt. Über einen Dolmetscher der Feldkommandantur erfuhren wir später, dass es sich um den Stab des Generals Amdt handelte. Die Toten sind in Gy-Ies-Nonains begraben worden. Die Verletzten wurden mit einer amerikanischen Ambulanz nach Montargis gebracht. Die 4 Gefangenen wurden am 24. August den amerikanischen Mächten überliefert. "
Was der Chef der Partisanen verschweigt, ist die Angst der Bevölkerung nach dem Angriff. Jeder hatte von den Gräueltaten der SS gehört und viele wussten, dass in ähnlicher Situation am 10. Juni 1944 das Dorf Oradour-sur-Glane mit sämtlichen 642 Einwohnern vernichtet wurde.
Das erste Haus in Gy-Ies-Nonains, gleich an der Brücke, war das Pfarrhaus. Nach dem Rückzug der Partisanen eilte der Pfarrer Jean Mercier hinzu und transportierte mit Unterstützung des Bürgermeisters Marcel Moreau die Toten und Verletzten in das Pfarrhaus. Die Verletzten wurden so gut wie möglich gepflegt.
Kurz darauf kamen die deutschen Lkws zurück (sie hatten nach dem Angriff in einem Bauernhof am anderen Ende des Dorfes Zuflucht gefunden). General Arndt war dabei und traf den Pfarrer und den Bürgermeister. Nach mehreren Augenzeugen soll er ihnen gesagt haben : "Was Sie für unsere Toten gemacht haben, dafür bin ich Ihnen dankbar. " Es scheint, dass die edle Haltung der zwei Franzosen das Dorf vor Vergeltungsmaßnahmen schonte. Gegen Abend verließ Arndt das Dorf in Richtung Osten.
Die Strecke zwischen Montargis und Montcorbon
Von nun an fehlen die Dokumente über den eingeschlagenen Weg und über das Schicksal des Generals. Nach einigen Zeugnissen zog die deutsche Kolonne über Triguères, Douchy, in Richtung Auxerre. Zwischen Douchy und Montcorbon soll Arndt auf amerikanische Truppen gestoßen, festgenommen und mit 500 anderen Gefangenen nach Montargis zurückgebracht worden sein. Aus einer anderen Quelle, nämlich dem tabellarischen Lebenslauf des Generals Arndt wie er im Buch "Die Generale des Heeres 1921-1945" erscheint, ergibt sich, dass er am 24. August 1944 bei Groghy (Aube) gefallen sei. Datum und Richtung mögen stimmen : das Département "Aube" liegt nordöstlich vom "Loiret". Leider ist die Ortschaft "Groghy" in ganz Frankreich unbekannt... Druckfehler oder Fehlmeldung ?
Sollte General Arndt den Krieg überlebt haben, so geht noch in Montargis das Gerücht um, er habe sich in der Grevener Gegend zurückgezogen. Greven in Westfalen ist die Partnerstadt von Montargis. Diese Angabe ist bis jetzt weder bestätigt noch widerlegt worden - ebenso wenig das Gerücht, ein Enkelkind des Generals habe an einem der ersten Schüleraustausche zwischen Montargis und Greven teilgenommen. Verwechslung oder dumme Phantasie ?
Ein anderes Rätsel hat neulich eine Lösung gefunden. Nach Jean Dunand sind die 4 Toten in Gy-Ies-Nonains begraben worden. In keiner Unterlage des Dorfarchivs sind diese Leichen registriert. Auf einem alten Friedhofplan sind 2 Gräber gezeichnet, mit der schlichten Aufschrift "Allemand" (Deutscher). Es stellt sich schließlich heraus, dass 2 Deutsche in Gy-les-Nonains und die 2 anderen in Saint-Germain-des-Prés aus finanziellen Gründen" begraben wurden. 1961 sind die 4 Leichen in die deutsche Kriegsgräberstätte Fort-de-Malmaison umgebettet worden. Über den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge habe ich die Namen dieser Soldaten herausfinden können. In Gy-Ies-Nonains weiß man jetzt, dass am 23. August 1944 gefallen sind :
In Gy-Ies-Nonains bleiben die Ereignisse vom 23. August 1944 in Erinnerung. Die Fassade des ehemaligen Pfarrhauses kann noch eine "Schießwunde" vorzeigen. Das Dorf ist an diesem Tage glücklicherweise verschont geblieben. Weil einige Menschen, trotz allem, vernünftig und menschlich handeln wollten. Generalmajor Edgar Arndt gehört zu ihnen. Nach diesen Jahrzehnten darf man ihm dafür danken.
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